Vitaminmangel? Dagegen hilft Obst oder die schnelle Brausetablette.

Preisfrage: Kann ich als Braunkohleförderer auch etwas schlucken, um meine desaströse Klimabilanz irgendwie aufzuhübschen?

Antwort: Nun ja, Versuche dazu laufen. Der Energieriese Vattenfall jedenfalls wirft seinen Braunkohlebaggern gleich ein ganzes Dorf zum Fraß vor, das längst mehr Energie erzeugt als es selbst benötigt.

Klingt komisch, aber lesen Sie erstmal die ganze Geschichte.

 

Braunkohle-Bagger vor den Toren eines Dorfes, hier am Niederrhein. Nicht überall schaffen es die Einwohner, die energiepolitische Irrfahrt von Landespolitikern und Konzernen zu stoppen. (© Stephan Schmitz)

Energiedorf Proschim, los, verschwinde!

Das Dorf Proschim in der Niederlausitz ist eine der Kommunen, für die kein Platz mehr auf der Landkarte Brandenburgs ist. Denn die 300 Einwohner leben zufällig knapp oberhalb von 200 Millionen Tonnen Braunkohle, die dem Energiekonzern Vattenfall enorme Gewinne und eine Kohleverstromung für die kommenden drei bis vier Jahrzehnte sichern sollen.

Nun sind Klimaschädlichkeit und mangelnde Notwendigkeit der Energiegewinnung aus Braunkohle hinlänglich durch Studien dokumentiert, etwa des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) oder des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. (FÖS) im Auftrag von Greenpeace.

Das hält Politiker und Energieriesen nicht davon ab, sich an fossile Energieträger und großindustrielle Produktionsstrukturen zu klammern. Folglich legte Vattenfall der Politik den Antrag auf Abbaugenehmigung im Gebiet Welzow-Süd II zur Mitte des Jahres 2014 vor. Ein breites Bündnis von SPD, CDU und Linken befürwortet die Ausweitung des Lausitzer Braunkohletagebaus, die am 3. Juni 2014 von der Landesregierung per Rechtsverordnung durchgewinkt wurde.

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Ein Braunkohle-Tagebau in der Nähe von Holzweiler am Niederrhein. Das Seilerdorf ist nach Beschluss der NRW-Landesregierung den Baggern soeben von der Schaufel gesprungen. Das brandenburgische Energiedorf Proschim hat dieses Glück nicht.

Die Haltung der rot-roten Landesregierung hat geradezu groteske Folgen. Denn die Braunkohlebagger ebnen mit dem Welzower Dorf Proschim auch eine jener 100-%-Kommunen ein, die ihren Energiebedarf inzwischen vollständig erneuerbar produzieren und sogar überschüssige Erträge ins allgemeine Netz einspeisen. Auch die Windenergie haben die kämpfenden Proschimer Bürger zum Schutz des Klimas und zum Schutz vor den Tradition, Landschaft und Ökosysteme vernichtenden Braunkohleförderern in ihren erneuerbaren Energiemix eingeflochten. Sechs Windmühlen reckten sich im Herbst 2013 als Mahnmale für die Energiewende in den Himmel, drei weitere waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf den Weg gebracht.

Dieses Engagement soll also weggebaggert werden.

Zurück zur Preisfrage

Womöglich haben Vattenfall und Verbündete, und da sind wir zurück bei der Preisfrage, etwas nicht ganz richtig verstanden.

Unterstützenswert ist es durchaus, wenn man als Braunkohle-Förderer seinen unrühmlichen Beitrag von 22,8 % an den gesamten CO₂-Emmissionen mindern will. Wo Braunkohle in Deutschland doch nur 11,7 % des deutschen Energiebedarfs deckt.

Schlecht ist allerdings zu glauben, dass jemand – wie bei einer Konzernübernahme oder der Vitaminzufuhr – seine Bilanzen aufbessert, indem er 100-%-Erneuerbare-Kommunen wie Proschim einfach schluckt. Davon müssen fossile Energie-Dinosaurier nämlich aufstoßen, und die Ökobilanz von Vattenfall und der Braunkohle ist danach gar nicht aufgehübscht. Um das zu erreichen, müsste man die ganzen regenerativen Anlagen und Dörfer schon stehen lassen – und dazu die gefräßigen Bagger einmotten.

P.S.: Ach, es geht hier gar nicht um eine bessere Ökobilanz? Wieso überrascht uns das jetzt nicht…