Ein starkes Stück bürgerlichen Engagements: der von Windrädern umrahmte Bioenergiepark im münsterländischen Saerbeck. (© Gemeinde Saerbeck)

Ein starkes Stück bürgerlichen Engagements: der von Windrädern umrahmte Bioenergiepark im münsterländischen Saerbeck. (© Gemeinde Saerbeck)

Modellcharakter besitzt der Bioenergiepark (BEP) im münsterländischen Saerbeck in vielerlei Hinsicht. Binnen zwei Jahrzehnten stellt die Gemeinde ihren Energiebedarf komplett auf erneuerbar um, will bald mehr Energie erzeugen als verbrauchen. Politiker und Bürger, Handwerksfirmen und Investoren, kommunale Betriebe und auch die Gemeindeverwaltung füllen die Energiewende mit Leben. Es pulsiert nicht zuletzt dank einer starken Basis, die neben Biomasse und Photovoltaik ganz besonders auf Wind gebaut ist.

Bioenergiepark erzeugt inzwischen 250 Prozent des eigenen Strombedarfs

Stolze sieben Windräder des Typs Enercon E-101 mit einer Leistung von je 3 Megawatt (MW) sorgen seit dem Spätherbst 2013 für Rückenwind bei den ehrgeizigen Zielen des Saerbecker Bioenergieparks. Die Räder zapfen den Wind bis zu einer Höhe von 200 Metern an. Prognosen über die Windernte sind naturgemäß von einigen Faktoren abhängig. Umso mehr bestärkt das erste Betriebsjahr die führenden Kräfte im Gemeindeamt. Das eigene Windrad kam noch vor Beginn des Herbstes 2014 auf ein Ergebnis von mehr als 7 Millionen Kilowattstunden elektrischen Stroms.

Konservative Schätzungen sind damit für das Premierenjahr des Windparks übertroffen worden. Gerechnet wird dank der 21 Megawatt installierter Leistung mit einem Ertrag von 42 bis 50 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr durch die Räder. Dies würde den Bedarf von bis zu 14 000 Haushalten decken. Über so viele verfügt Saerbeck selbst, das etwa 7200 Menschen beheimatet, gar nicht.

„Wir erzeugen insgesamt im Bioenergiepark inzwischen 250 Prozent des eigenen Strombedarfs“, sagt Guido Wallraven, der für die NRW-Klimakommune der Zukunft die Projekte steuert. Insofern wird der nachhaltige Gedanke auch über die Grenzen Saerbecks hinaus transportiert, da der erzeugte Strom rechnerisch und praktisch nicht allein in der Gemeinde verbraucht werden kann.

Warum weiterhin Millionen Saerbecker Euro verbrennen?

Noch nicht. Denn Saerbeck ist nicht allein deswegen Energie-Kommune des Jahres 2013 geworden, weil es zuhauf grünen Strom produziert und damit den schmutzigen Schwestern im Kohlemantel den Rücken kehrt. Zum Konzept der Gemeinde zählt es auch, die anderen großen Herausforderungen auf dem Energiesektor bis 2030 anzugehen: Wärme und Mobilität. So soll die aus dem Wind entnommene Energie ebenso wie die flankierenden Sonnen- und Biomasse-Einheiten in Zukunft auch gespeichert und vielfältig nutzbar gemacht werden.

Als die Gemeinde sich 2008 auf den Weg macht, interpretiert Bürgermeister Wilfried Roos mit den örtlichen Parteien die kommunale Daseinsvorsorge neu: Saerbeck solle die Versorgungssicherheit im Energiebereich selbst herstellen. Mit einem nicht zu unterschätzenden Effekt. „Es geht um Preisstabilität, die von den fossilen Energieträgern und den vier großen Energieversorgungsunternehmen nicht zu erwarten ist“, so Guido Wallraven. Den horrenden Ausgaben für Kohle, Gas und Treibstoff, die die Euro millionenweise aus dem Kreis Steinfurt abfließen lassen, setzt Saerbeck regionale Wertschöpfung entgegen. Der erneuerbare und nachhaltige Saerbecker Weg – lokal, regional und dezentral – steht also für Kostenbremse, wirtschaftlichen Nutzen und nicht zuletzt Versorgungssicherheit.

Weitsicht und das Vertrauen in langfristig und nachhaltig wirkende Investitionen

Für ein Projekt wie in Saerbeck braucht es Pioniergeist, Weitsicht, Mut und das Vertrauen, dass Investitionen in nachhaltige Energieproduktion sich langfristig auszahlen. Andernorts lassen Beamte und Politiker sich schon mal vom kurzfristig lockenden Geld blenden und verwandeln ehemalige Bundeswehr-Flächen in Bauland. Saerbeck dagegen machte ein früheres Munitionsdepot zum Standort für den Bioenergiepark.

Eine Idee, die so viel Wind machte, dass von den sieben Windenergieanlagen über die Hälfte in Bürgerhand sind. Je eins der 3-MW-Räder betreiben die Gemeinde Saerbeck und die kommunale Entsorgungsgesellschaft (EGST) des Kreises Steinfurt, zu dem Saerbeck zählt, in Eigenregie. Das Gemeinde-Rad soll nach etwa 16 Jahren abbezahlt sein, der Ertrag steht dann ausschließlich für kommunale Aufgaben zur Verfügung.

Bürgerwindpark: „Genossenschaft für uns die erste Wahl“

Hinzu kommt eine Anlage, die komplett der Bürgergenossenschaft „Energie für Saerbeck“ gehört. In den übrigen vier Windmühlen stecken sowohl die Zukunftsinvestitionen von finanzstarken Saerbecker Investoren sowie – bei der siebten Anlage – die Gelder von Menschen aus dem näheren Umkreis.

Damit wäre die Frage möglicher Akzeptanzprobleme der Windfarm bereits beantwortet. Entscheidend für den Erfolg in Saerbeck war die breite Beteiligung von Menschen aus dem direkten Umfeld und der klare Kurs des Bürgermeisters. „Es gibt verschiedene Modelle für Bürgerwindparks. Für uns war die Genossenschaft erste Wahl“, so Guido Wallraven. Getragen von einer umfassenden Information und Beteiligung machten die Saerbecker Bürger das Projekt zu ihrem eigenen. Die beiden Zeichnungsfristen von jeweils drei Monaten für die Windräder brachten eine überragende Resonanz, nicht alle Anleger konnten am Ende bedient werden.

Ähnliches Engagement lösen die aktuellen Pläne für ein Nahwärmenetz auf Kraft-Wärme-Basis aus, das etwa 60 Prozent der Ortsmitte beheizen soll. Wiederum stützen die Saerbecker das Projekt durch eine Genossenschaft. „Die Bürger rennen uns die Bude ein“, sagt Guido Wallraven. Mit Netzen kennt die Gemeinde sich ohnehin aus: Seit 2012 gehören die lokalen Stromtrassen samt Konzession den Saerbeckern, über die hauptsächlich von der Gemeinde getragenen Saerbecker Stadtwerke (SaerVE). Ein nicht zu unterschätzendes Pfund in Zeiten, da die Berliner Politik mit Änderungen am Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) die Energiewende in Bürgerhand zunehmend torpediert.

Auch außerhalb des Bioenergieparks (BEP) sucht Saerbeck weitere erneuerbare Wege. In der Bauernschaft Sinningen reifen Pläne für einen reinen Windpark. Die Planung, betont Wallraven, werde forciert, „weil die Bürger das wollen“.

Geben ist seliger als Nehmen: Der BUND spendiert dem Biopark eine Streuobstwiese

Den Saerbecker Dreiklang von Artenschutz, Naturschutz und Klimaschutz stellt Guido Wallraven gerne heraus. So werden alle Interessen beim Berechnen der Potenzialflächen berücksichtigt. Schon im Bioenergiepark Saerbeck machte die Windenergie Abstriche. Eine achte ins Auge gefasste Anlage wurde fallen gelassen. Der Schutz eines in der Nähe nistenden Mäusebussards ging vor. Und so ist das Saerbecker Modell auch auf andere Weise beispielgebend: Weil die Sondierungen so umfassend erfolgen, wird der örtliche Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Geber. Er spendiert den Saerbeckern wegen des gedeihlichen Austausches in Natur- und Artenschutzfragen eine Streuobstwiese. Bemerkenswert in Zeiten, da andere vergleichbare Organisationen Gegenwind entfachen oder selbst die Hand aufhalten.