Die Windenergie taugt als Symbol für Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit – ein Imageträger, den man sich gern ans Revers heftet. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) wirbt auf seiner Startseite im Internet mit sich drehenden Rotoren in einem Windpark. Zu den energiepolitischen Positionen des DIHK passt das Bild leidlich. Der DIHK sorgt sich darum, dass die Energiewende gelingen müssen. Denn Deutschland habe seinen guten Ruf zu verlieren: Ingenieurskunst made in Germany. Darüber hinaus sieht der DIHK die Vorteile der Energiewende: Unabhängigkeit von Rohstoffimporten, Fortschritte beim Klimaschutz, Absatzmärkte für Technologien der Energieerzeugung und -speicherung…
Warnend schießt der Zeigefinger wieder in die Höhe, wenn es um die EEG-Umlage geht. Die Schmerzgrenze sei bereits jetzt überschritten: „Wirtschaftliche Preise sind für die gesamte Wirtschaft unverzichtbar, vor allem aber für die stromintensiven Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Daher muss alles getan werden, um preistreibende staatliche Abgaben (Kraft-Wärme-Kopplungs-Abgabe, Einspeisevergütungen, Stromsteuer, Konzessionsabgabe) zu senken“, urteilt der DIHK.
Erneuerbare Energien stehen der IHK eher im Wege als „bereit“
Das findet die Industrie- und Handelskammer NRW selbstverständlich auch. Sie findet noch viel mehr: Das jüngst verabschiedete Positionspapier zur Energiepolitik liest sich wie eine Marketingoffensive für Braun- und Steinkohle. Zehn Meilensteine für eine kostengünstige und zukunftsfähige Energieversorgung in NRW haben die Mittelstandsvertreter formuliert und sich gleich in Punkt 1 festgelegt: „NRW verfügt wie kein anderes Bundesland über große eigene Energiequellen: Das sind Braun- und Steinkohle.“ Deren „stärkerer Einsatz“ und „längere Nutzung“ wird von der nordrhein-westfälischen IHK gefordert und nicht die „einseitige Förderung politisch gewollter Technologien“, also erneuerbarer Energien.
Sie zu erwähnen, kommt die IHK nicht umhin: „In zunehmendem Maße stehen aber auch regenerative Energien aus Wind, Wasser und Sonne sowie Biomasse/Biogas bereit.“ Sie stehen also „bereit“ – oder für die IHK NRW doch eher im Wege. Denn das Positionspapier schürt die Angst vor Versorgungsengpässen und Instabilität des Stromnetzes, vor fehlenden Kraftwerkskapazitäten. Ob man da auf den unbeständigen Stromertrag der Wind- und Solarkraft setzen solle? Da sei die Kohle grundlastfähiger. Wie wenig sie flexibel sie in der Regulierung indes ist, verschweigt die IHK NRW galant. Suggeriert wird den Lesern stattdessen, dass der Energieträger Kohle bereits heute subventionsfrei sei.
DIW-Studie: Kohle ist unwirtschaftlich und umweltschädlich
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin bescheinigt der Braunkohle in einer von der Klima-Allianz Deutschland in Auftrag gegebenen und im April 2013 veröffentlichten Studie: „Um die Energiewende zu schaffen, braucht Deutschland keinen Ausbau der Braunkohleverstromung.“ Demzufolge braucht auch NRW keinen Ausbau des Braunkohleabbaus. Zudem, so die Wissenschaftler weiter, handele es sich bei der Braunkohle um „einen unwirtschaftlichen und umweltschädlichen Energieträger“. Energiekonzerne, die auf Kohlekraft setzten, „entscheiden sich damit für die bei weitem umweltschädlichste Technologie, die lediglich den Vorteil hat, dass sie kurzfristig die größten Gewinne verspricht.“
Große Gewinne mit unkalkulierbaren Risiken für die Allgemeinheit. Zu diesem Schluss kommt eine im Mai 2014 vorgestellte Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag von Greenpeace. Es sei mehr als fraglich, heißt es dort, dass die Steuerzahler nicht für Folgekosten des Tagebaus in Millionenhöhe einstehen müssten. Im Zuge des enormen Flächenfraßes, wie er neu etwa im brandenburgischen Revier Welzow-Süd II droht, fallen immense Kosten an für
- langfristige Gewässernachsorge,
- ständiges Abpumpen des Grundwassers,
- Ausgleich von Bergschäden an Immobilien und Infrastruktur,
- Regulierung von Erdrutschen,
- psychosoziale Folgen von Umsiedlungen und
- Gesundheitsschäden in Folge der Kohleverstromung (Feinstaubbelastung etc.).
Die FÖS-Studie verdeutlicht, dass diese Folgekosten in dreistelliger Millionenhöhe eben nicht in voller Höhe durch die Braunkohle-Unternehmen getragen werden. Kosten, die aber auch nicht in den Stromrechnungen der Verbraucher auftauchen und somit bei der Preisgestaltung unsichtbar bleiben.
Widerstand gegen Zwangsverkammerung
Das Positionspapier der IHK NRW steht folglich in der Kritik, die zum Beispiel der NRW-Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) dezidiert auflistet. Widerstand regt sich bei Mitgliedsunternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien. Sie fühlen sich nicht ausreichend vertreten durch die Kammer – durch den Verband, bei dem sie für ihre Mitgliedschaft bezahlen. Bezahlen müssen. In Deutschland gilt das Prinzip der Zwangsverkammerung für Selbstständige.
Um der IHK in Erinnerung zu rufen, dass Kohlelobbyisten keine Saubermänner sind, machten Unternehmer der ostwestfälischen Regenerativbranche der Kammer in Bielefeld ihre Aufwartung. Nicht ohne Mitbringsel. Es galt, ein Bild zu schaffen, das mit dem Gut-und-Günstig-Image der fossilen Energieträger aufräumt.
Das Bild ließ denn auch keinen Interpretationsspielraum offen. Einige Kilo Kohlebriketts kippten die IHK-Kritiker im September 2013 einfach in das Foyer. Wer die Botschaft immer noch nicht begriffen hatte, war spätestens durch den Slogan auf einer Plakattafel schlauer:
„’tschuldigung IHK – aber Kohle macht Dreck“.
Man kann den Spruch natürlich als Aufforderung an die IHK verstehen, ihr gespaltenes Verhältnis zu den erneuerbaren Energien zu überdenken. Als Impuls, zur Abwechslung einmal einen ähnlichen kritischen Geist bei der Betrachtung der IHK-Lieblinge Braun- und Steinkohle zu entwickeln. Dazu müsste die Kammer aber schwer wiegende Konsequenzen wie Klimafolgen, Gesundheitsschäden und Raubbau an Natur und Umwelt mit einrechnen.
„Wenn die IHK von uns Kohle will, kann sie welche haben“
Auf solcherlei Sinneswandel zu setzen, fehlen der regenerativen Branche aber inzwischen Geduld und Vertrauen in die IHK. Folglich behielten etliche Unternehmen in einem begleitenden Akt ihre obligatorischen Beiträge zur Kammer ein. Was die IHK natürlich wegen der Zwangsverkammerung und der Gebührenpflicht nicht unwidersprochen hinnahm – und auf Kontopfändung beharrte.
Dies griff der Paderborner Windenergie-Unternehmer Johannes Lackmann bei der Aktion im Bielefelder IHK-Foyer wieder auf: „Wenn die IHK von uns Kohle will, kann sie welche haben.“ Aber eben nicht, ohne zu begreifen, wie schmutzig jene Kohle sei, auf die die Kammer bei ihrem nur scheinbar ausgewogenen Positionspapier zur Energiepolitik so große Stücke setzt.
Unternehmer der Erneuerbaren Energien reichen Unterlassungsklagen gegen IHK ein
Um dem durchsichtigen Spiel der Kammern ein Ende zu setzen, hat die Erneuerbaren-Branche in Bielefeld, Duisburg, Münster und Siegen Ende 2013 gegen die jeweilige IHK Unterlassungsklage erhoben. Mehr als ein Dutzend Formulierungen aus den Positionspapieren sollen künftig unterbleiben. Es sind Passagen, die den Erneuerbaren die Verantwortung für Kostensteigerungen und Versorgungsengpässe zuschieben. Wertungen, die an der Objektivität, Sachlichkeit und Zurückhaltung der IHK zweifeln lassen und die nahe legen, dass es den Kammern nicht um das Gesamtinteresse aller Kammermitglieder geht, sondern um reine Interessenvertretung der Kohleindustrie.
Man mag hinzufügen:
„’tschuldigung IHK – aber einseitige Positionspapiere machen Ärger“.